maandag 30 september 2024

Würden mehr Menschen ihre Gärten naturnah gestalten, könnte dies »einen großen Beitrag leisten«

 

Bestand vieler Tierarten in Deutschland geht zurück, Forschende zeigen sich schockiert

Intensive Landwirtschaft, Umweltverschmutzung: Viele Arten schwinden, auch die Lebensgrundlage von Menschen ist bedroht. Ein aktueller Bericht zeichnet ein düsteres Bild. Immerhin gibt es Trends, die Hoffnung machen.
Dunkler Wiesenknopf-Ameisenbläuling auf einem Halm: Ökologisch ungünstiger Zustand
Dunkler Wiesenknopf-Ameisenbläuling auf einem Halm: Ökologisch ungünstiger Zustand
 Foto: Sunbird Images / imageBROKER / picture alliance
Gärten voller Hummeln und anderer Bienen, offene Landschaften mit Wildblumen, zwischen denen sich Grillen und Schmetterlinge tummeln – solche Anblicke sucht man in Deutschland an vielen Orten mittlerweile vergebens. Das Insektensterben und der Rückgang weiterer Tiergruppen sorgen seit Jahren für Aufsehen; Wissenschaftler, die sich mit dem Verlust an biologischer Vielfalt beschäftigen, sind Kummer gewöhnt.
Die jüngste und bisher umfassendste Bestandsaufnahme in Deutschland bringt allerdings auch hart gesottene Forschende aus der Fassung. An wie vielen Stellen es negative Entwicklungen gebe, sei doch »ganz schön frustrierend«, sagte Alexandra-Maria Klein von der Universität Freiburg bei einem Pressegespräch anlässlich des heute veröffentlichten Berichts »Faktencheck Artenvielfalt«. Es gebe zwar auch einige Lichtblicke. Trotzdem sei sie »eher schockiert als erfreut«, erklärte die Professorin für Naturschutz und Landschaftsökologie. Von einem »sehr traurigen Trend« sprach ihr Kollege Helge Bruelheide, Professor für Geobotanik an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.
Die beiden haben zusammen mit etwa 150 weiteren Autorinnen und Autoren auf mehr als 1000 Seiten den Stand des Wissens zur Biodiversität im Agrar- und Offenland, im Wald, in Binnengewässern und Auen, Küsten und Küstengewässern sowie in urbanen Räumen zusammengetragen. Demnach nimmt die Vielfalt der Lebensräume bei uns ab. Mehr als die Hälfte der Lebensraumtypen ist einem ökologisch ungünstigen Zustand. »Immer noch verschwinden wertvolle Habitate«, heißt es in dem Bericht. Besonders besorgniserregend sei die Situation der Lebensraumtypen im Grünland (gemeint sind Kulturflächen wie Wiesen, Weiden und Heidelandschaften) sowie auf ehemals artenreichen Äckern, in Mooren, Moorwäldern, Sümpfen und Quellen.
Beutelmeise mit Jungvögeln: Ausweitung von Schutzgebieten nötig
Beutelmeise mit Jungvögeln: Ausweitung von Schutzgebieten nötig
 Foto: BIA / IMAGO
In der Folge seien die Bestände vieler Arten zurückgegangen, schreiben die Forschenden. Nach ihren Angaben sind von den etwa 72.000 in Deutschland einheimischen Tier-, Pflanzen- und Pilzarten etwa 40 Prozent auf ihre Gefährdung hin untersucht und in Roten Listen dokumentiert worden. Fast ein Drittel aller Arten in diesen Roten Listen seien stark gefährdet oder gar vom Aussterben bedroht.
Als stark gefährdet gelten etwa viele Reptilien- und Amphibienarten sowie zahlreiche Insekten, etwa Gruppen der Ameisen, Tagfalter und Bienen. Arten wie Mooshummel, Obsthummel und Deichhummel habe sie »noch nie bei uns in der Landwirtschaft gesehen«, sagte Alexandra-Maria Klein.
Mit Sorge blicken Klein und die anderen Forschenden zudem auf eine Entwicklung im Agrar- und Offenland – gemeint sind Gebiete ohne Wald wie etwa Äcker, Wiesen und Heidelandschaften: Dort sei der Vogelbestand in den vergangenen 40 Jahren um mehr als die Hälfte zurückgegangen, heißt es im Faktencheck Artenvielfalt. Auch viele Pflanzenarten schwinden, vor allem bei der sogenannten Ackerbegleitflora – das sind Arten, die wild neben Kulturpflanzen wie Weizen und Roggen auf Feldern wachsen. Kaum noch zu finden seien etwa der Acker-Schwarzkümmel und das Deutsche Filzkraut, sagte Klein.

Die Kegelrobbe war fast ausgerottet – heute gibt es wieder mehr als 2000 Tiere

Ein Großteil des Verlusts an biologischer Vielfalt habe sich bis 1970 ereignet, bedingt unter anderem durch Flächenversiegelung, Plantagenwirtschaft, Flussbegradigungen, ungereinigtes Abwasser und eine großflächige Entwässerung der Landschaft, insbesondere von Auen und Mooren, schreiben die Forschenden. Dass die Natur sich nicht erhole und der Verlust an Artenvielfalt stellenweise sogar noch zunehme, sei unter anderem auf den Ausbau der Landwirtschaft und deren negative Wirkung auf benachbarte Ökosysteme zurückzuführen. Landwirte setzten zwar mittlerweile weniger Pestizide ein, sagte Klein. Die Toxizität dieser Mittel sei jedoch »leicht nach oben« gegangen.
Auch wenn der Faktencheck Artenvielfalt viele Negativtrends zeigt – die Forschenden haben trotzdem Hoffnung, dass die Vielfalt der Arten in Deutschland wieder zunehmen könnte. Die Kegelrobbe sei in Deutschland fast ausgerottet gewesen, sagte Helge Bruelheide. Mittlerweile gebe es wieder mehr als 2000 Tiere. »Das zeigt, dass ein ganz konsequenter Artenschutz sehr hilfreich sein kann.« Ein weiterer Positivtrend: Durch die Abwasserreinigung seit 1970 seien die Fließgewässer sauberer geworden, wovon wirbellose Tiere wie Libellen profitiert hätten.
Erfreulich ist nach Einschätzung der Wissenschaftler auch, dass der Bestand einiger Waldvogelarten wieder gewachsen ist. Vermutlich, weil es wieder mehr Totholz in Wäldern gibt, das als Lebensort für Insekten fungiert, die wiederum von Vögeln verspeist würden, sagte Christian Wirth, Leiter der Arbeitsgruppe Spezielle Botanik und funktionelle Biodiversität an der Universität Leipzig. Er und die anderen Forschenden plädieren für mehr biologische Landwirtschaft und eine Ausweitung der Schutzgebiete in Deutschland, um die Biodiversität voranzubringen.
Auch der Einzelne könne etwas bewirken, sagte Marion Mehring vom Institut für sozial-ökologische Forschung in Frankfurt. »Im Garten ein wenig mehr Wildnis zuzulassen, das kann sich lohnen.« Die Gartenfläche in Deutschland insgesamt komme in etwa der Fläche der Naturschutzgebiete gleich. Würden mehr Menschen ihre Gärten naturnah gestalten, könnte dies »einen großen Beitrag leisten«.
Für ihre Analyse hatten die Forschenden mehr als 6000 Publikationen zum Thema Artenvielfalt ausgewertet – neben wissenschaftlichen Studien zählten dazu Abschlussarbeiten, behördliche Berichte und Gutachten. Außerdem stellten sie aus der Literatur und Datenbanken einen neuen Datensatz mit mehr als 15.000 Zeitreihen zu Tier- und Pflanzenarten zusammen. Finanziert wurde die Arbeit vom Bundesministerium für Bildung und Forschung.
 

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